MISSBRAUCH UND PRÄVENTION

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Mitarbeiter des VfB-Fanprojekts im Fußballstadion. Von links: Florian Güntert, (Pädagogischer Mitarbeiter B.A. Soziale Arbeit), Jannis Zeller (Werkstudent B.A. Soziale Arbeit), Patrick Eberle (Pädagogischer Mitarbeiter Jugend- und Heimerzieher) und Can Mustafa (Pädagogischer Mitarbeiter und Leiter VfB-Fanprojekt, B.A. Soziale Arbeit). Bild: VfB-Fanprojekt

Das VfB-Fanprojekt kooperiert mit #MEnToo, einer Initiative von Ruf und Rat der Diözese.
Im Interview spricht Can Mustafa über das Projekt.

Das Fanprojekt ist ein ergänzendes Angebot der Jugendhilfe und bietet jungen Menschen Hilfe zu vielen unterschiedlichen Themen an – immer aber mit dem gemeinsamen Nenner VfB Stuttgart. Die Aufgaben sind sehr vielfältig. Hauptamtliche Mitarbeiter kümmern sich um die Belange der Stuttgarter Fußballfans. Im Gespräch erläutert Can Mustafa, Leiter und pädagogischer Mitarbeiter (Soziale Arbeit, B.A.) des VfB-Fanprojekts, die Aufgaben des Fanprojekts und der Zusammenarbeit mit #MEnToo.

Was genau macht das VfB-Fanprojekt? Mit welchem Ziel wurde es gegründet? Das VfB Fanprojekt ist eine unabhängige soziale Institution die, seit 2016, soziale Arbeit mit und für Fußballfans des VfB Stuttgart leistet. Dabei agieren wir kritisch parteilich für sie und haben in erster Linie die verschiedenen Perspektiven von Fußballfans auf Spieltagserlebnisräume und das zeitgenössische System Fußball im Blick.  Dazu gehört eine große Bandbreite an Angeboten, die für Fußballfans geschaffen werden, wie beispielsweise verlässliche Ansprech- & Vertrauenspersonen bei allen Spieltagen der 1. Profimannschaft der Männer des VfB zu sein. Auch unter der Woche sind wir für Bedarfe aller Art sowie bei Bedarf auch Beratungen erreichbar.

Darüber hinaus leisten wir politischer Bildungsarbeit mit Schulklassen und mit U-Haft Inhaftierten im Gefängnis, sprechen auch hier über Ismen und Gewalt. Des Weiteren leisten wir viel Arbeit in Gremien und Netzwerken des VfB sowie der Stadt, stets bemüht Labels auf den Stirnen von Fußballfans mit klarer Haltung und Einsatz abzubekommen.

Wie sieht die Arbeit konkret aus?

Wir organisieren U-18- sowie Inklusionsfahrten, laden zu Veranstaltungen ein, die über den berühmten Tellerrand blicken lassen und dabei stets Themen des Fußballs und der Gesellschaft aufgreifen, oder stellen unsere Räumlichkeiten in der Hauptstätterstraße 41 Jugendlichen und erwachsenen Fußballfans im Rahmen eines Offenen Treffs oder für artikulierte Bedarfe regelmäßig zur Verfügung.
Auf Ziele, fachliche Standards und Arbeitsprinzipien einzugehen, würde an dieser Stelle wohl den Rahmen sprengen. Doch da wir uns in der Regelfinanzierung der Stadt Stuttgart befinden, veröffentlichen wir jedes Jahr einen Saisonbericht, in dem wir ausführlich auf unser gesamten Tun und Wirken eingehen. Diesen finden Sie ab September in allen VfB Shops oder auch in unserem Downloadbereich auf vfb-fanprojekt.de

Wie hängt der Verein mit dem VfB zusammen?

Als Fanprojekt-Mitarbeiter sind wir angestellte und studierte Sozialarbeiter des unabhängigen Trägervereins „Fanprojekt Stuttgart e.V.“, und somit keine Mitarbeiter des Vereins VfB Stuttgart, sondern beispielsweise in Bezug zur gelingenden Spieltagsbegleitung kritische Zuspielende für das System VfB und seine Anhängerschaft. Im Sinne unserer Netzwerk- und Gremienarbeit müssen wir dabei eine aufrichtige, verlässliche Beziehung zum Bezugsverein errichten und dabei auch als Ansprechpartner auf Augenhöhe für alle Parteien der Stadionallianzen VfB (BW) fungieren können.

Wer ist Mitglied im Verein?

Jede Person die sich dazu entscheidet einen Mitgliedsbeitrag des VfB e.V. über 60€ im Jahr abzuschließen. Bei uns im Fanprojekt sind tatsächlich zufälligerweise auch alle Mitarbeiter seit vielen Jahren Mitglied beim VfB Stuttgart 1893 e.V. und auch eingefleischte VfB-Fans, was unserer professionellen Fanprojektarbeit nach anerkannten Standards und Prinzipien jedoch nicht im Wege steht, sondern sie eher fundamentalisiert beziehungsweise befeuert.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Ruf und Rat?

Der Kontakt zwischen Ruf und Rat und uns kam bei einem Facharbeitskreistreffen der Stadt zustande. Nach einem Treffen in den Räumlichkeiten der psychologischen Beratungsstelle, bei dem wir uns super verstanden und ausgetauscht hatten, war für uns klar, dass wir dieses Projekt unterstützen wollen. Seither kooperieren wir auf unterschiedlichste Weise und freuen uns diese Kooperation auch in Zukunft nach außen sichtbar zu machen und so männlich sozialisierten Fußballfans eine weitere niedrigschwellige Brücke zu Hilfeorganisationen dieses Themengebiets bei Bedarf schlagen zu können.

Warum teilen Sie die Plakat-Kampagne von Ruf und Rat?

Die Kurven im Fußballstadion sind immer noch sehr männlich geprägt und nicht selten erleben wir dabei eher tradierte Rollenmuster. Nichtsdestotrotz kann es natürlicherweise Personen geben, die sich durch Ruf und Rat angesprochen fühlen. Hier im Fall der Fälle je nach Bedarf Brücken schlagen zu können, ist grundlegender Teil unserer generellen Hilfestruktur.

Ist das Thema „Sexualisierte Gewalt gegen Männer“ ein Thema bei Ihnen im Verein?
Was ist anders als bei sexualisierter Gewalt gegen Frauen?

Das Fanprojekt nimmt an einigen Facharbeitskreisen in Stuttgart teil, beispielsweise  Arbeitskreis Jungen*- und Männgergesundheit, Arbeitskreis Jungen*arbeit oder Arbeitskreis Chancengleicheit, bei denen auch dieses Thema immer mal wieder behandelt worden ist. Im Zuge der Initiierung eines Hilfetelefons durch die Fanbeauftragten des VfB organisierten wir im April 2023 eine Veranstaltung zum Thema Sexualisierte Gewalt im Kontext Fußball. Sowohl das Podium als auch das Publikum war mehrheitlich weiblich gelesen besetzt, was ausdrückt, für welche Menschen das Thema bewegender und relevanter ist.
Gleichwohl gilt es keine Fronten oder Rankings aufzubauen, sondern co-existierend gemeinsam relevante Themen unserer Zeit anzugehen. Denn die Tatsache, dass es kaum eine Bewegung oder öffentliche Wahrnehmung zum Themengebiet in Bezug zu „Männer als Opfer“ gibt, beweist doch, dass eben nicht nur Frauen* in verschiedensten Arten und Weisen vom imperialistischen, kapitalistischen Patriarchat weißer Vorherrschaft Benachteiligt sein können.

Fußball und (sexualisierte) Gewalt – sehen Sie einen Zusammenhang?

Im Stadion kommt es immer wieder zu sexuellen Übergriffen, Diffamierungen oder Beleidigungen, überwiegend homophob, abwertend und misogyn. Die mittelalterlich anmutende Haltung mancher Männer und deren unreflektiertes Handeln und Sprechen an Spieltagen bietet häufig zurecht Nährboden für Kritik am System Fußball und seinen Fans, die natürlich mitnichten alle über einen Kamm geschert werden dürfen. Die eindeutige Mehrheit des Stadions erlebt das Stadion als einen sicheren Ort, doch jeder Fall und jeder wahrgenommene gefährliche Raum für einen Menschen, ist einer zu viel.

Werden diese Verstöße gemeldet? Was passiert dann?

VfB Fans haben sowohl im Nachgang, als auch während des Spiels durch das Hilfetelefon „Dächle“ die Möglichkeiten sexualisierte Gewalt zu melden, ad hoc Unterstützung zu erfahren oder Beobachtetes im Nachgang zukommen zu lassen. An anderen Standorten erleben wir Hilfekonzepte als durchdachter, ausgereifter, doch das Projekt ist erst kürzlich an den Start gegangen und befindet sich auf einem guten Weg.
Wie die Kolleg:innen des Vereins die Daten sammeln, darüber haben wir keinen Einblick. Bei konkreten Vorfällen werden wir manchmal unterstützend hinzugezogen, sowohl in konkreten Vorfallsmomenten, als auch in eventuellen Nachbereitungs- und Aufarbeitungskontexten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Werbewand in der U-Bahn-Haltestelle Charlottenplatz während der EM2024.
Bild: DRS/ Mihaela Macan von Ruf und Rat

Nennen Sie mir bitte Beispiele von sexualisierter Gewalt beim Fußball.

In unseren Workshops beim VfB Lernzentrum thematisieren wir bspw. auch GMF, also „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Hierbei zeigen wir genau solche Beispiele. Eines davon ist ein Spruchband einer Ultragruppierung aus Deutschland, welches an die gegnerische Fanszene gerichtet ist: Zitat: „Papa wo ist das Teil zum Kartoffelschälen?  – Das steht heute im Gästeblock.“ Ein offensichtlich geschmackloses und sexistisches Zeichen gegen alle Frauen im Gästeblock, oder wohl eher gegen ALLE Frauen im Stadion. Dabei ist auch sehr interessant zu sehen, wie weit die Meinung bei den Teilmnehmer:innen auseinander geht. Auch weibliche Teilnehmerinnen sehen in solchen „Provokationen“ häufig kein Problem. Unsere Haltung gegenüber solchen sexistischen Aussagen ist klar, so etwas gehört in keinen Winkel unserer Gesellschaft.

EM 2024 – ist das Thema sexualisierte Gewalt (gegen Männer) ein Thema?

In der Planung für die EM2024 war das Thema natürlich auch allgegenwärtig. Jede Host-City hat ein Awareness-Konzept und Anlaufstellen für Betroffene. Auch wir als Fanprojekt verfügen über ein „FanZone“-Handy, über welches wir während den Öffnungszeiten jederzeit erreichbar sind. Ein individuelles Konzept für sexualisierte Gewalt gegen Männer gibt es jedoch nicht.

Was raten Sie den betroffenen Männern?

Reden. Über Vorkommnisse mit einer Vertrauensperson oder professionellem Ansprechpartner zu sprechen ist der aller erste Schritt in die richtige Richtung. Wer die Mauer des Schweigens einreißt, erlebt Einordnungen, Verhältnismäßigkeiten, Maßstäbe und damit Relationen zu persönlich Erlebtem. Darauf aufbauen können Veränderungen und Aufarbeitungen gelingen.

Gerade Männer* müssen sich dem eigenen stereotypischen Gewordensein und dem Aufwachsen in westlicher Industrienation sowie im politisch-sozialen System des Patriarchats bewusst werden. Nur, wer im Prozess des Reflektierens und des Bewusstwerdens, auch seiner eigenen Rolle und Biografie, Zugang zu den eigenen Emotionen erhält und seiner eigenen Sozialisation Bedeutung beimisst, kann die Tragweite veränderten Männer*seins bewusst werden und damit auch die Betroffenheit von Männern* reduzieren.

Wann ist ein Mann ein Mann? Passt das Thema sexualisierte Gewalt zum traditionellen und aktuellen Männerbild beim Fußball?

Die Szene, und auch der Sport Fußball, sind auch heute noch von vielen traditionellen Rollenbildern geprägt. Doch auch hier gilt es, diese aufzubrechen, um der psychischen und seelischen Gesundheit von allen Beteiligten beizutragen. Darum begrüßen wir, dass der VfL Bochum in der 1. Liga geblieben ist, sodass auch im kommenden Jahr Herbert Grönemeyers Klassiker die Ohren aller VfB Fans erreichen wird.

Warum müssen wir die Opfer sexualisierter Gewalt schützen?

Opfer sexueller Gewalt brauchen Schutz, um ihre physische Sicherheit zu gewährleisten, ihre Würde wiederherzustellen, ihre psychische Gesundheit zu unterstützen und Retraumatisierung zu vermeiden.

Was wäre Ihr Wunsch?

Mein Wunsch wäre es, dass wir alle toxischen Stereotypen vom traditionellen Mann zur Seite schieben können, und Männer, ohne Scham oder Angst vor Verurteilung, offen über dieses Thema und weitere sprechen können. Durch das Gesunden ungünstiger männlicher* Verhaltensweisen können auch eine Vielzahl an negativen Begleiterscheinungen oder Komorbiditäten verhindert werden.

Mehr Informationen zum VfB – Fanprojekt finden Sie hier:

www.vfb-fanprojekt.de
Instagram @vfb_fanprojekt & @sozialarbeiter_can
X @VfB_Fanprojekt
Facebook: @VfB-Fanprojekt

 

 

 

MISSBRAUCH UND PRÄVENTION

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Seit gestern sieht man vielen U- und S-Bahnhaltestellen in Stuttgart die neue Kampagne von “Ruf un Rat” (RuR). Eine Woche lang macht die Beratungsstelle während der EM 2024 auf das oft tabuisierte Thema #MEnToo aufmerksam. Bild: DRS/ RuR

Über fünf Millionen Männer haben eine traumatisierende Missbrauchserfahrung erlebt.
Bei “Ruf und Rat” in Stuttgart finden sie Hilfe.

Die Fußball Europameisterschaft ist im vollen Gange. Überall in der Stadt trifft man feiernde Fußballfans, um dieses europäische Sportereignis zu feiern. Wer denkt schon daran, dass es im Stadion immer wieder zu sexuellen Übergriffen, Diffamierungen und überwiegend homophoben, abwertenden und misogynen Beleidigungen kommt ? Can Mustafa ist Leiter und pädagogischer Mitarbeiter beim VFB-Fanprojekt und bestätigt: “Die mittelalterlich anmutende Haltung mancher Männer und deren unreflektiertes Handeln und Sprechen an Spieltagen bietet häufig zurecht Nährboden für Kritik am System Fußball und seinen Fans, die natürlich mitnichten alle über einen Kamm geschert werden dürfen. Die eindeutige Mehrheit des Stadions erlebt das Stadion als einen sicheren Ort, doch jeder Fall und jeder wahrgenommene gefährliche Raum für einen Menschen, ist einer zu viel”.

Seit gestern läuft deshalb an vielen U- und S-Bahnhaltestellen in Stuttgart die neue Kampagne von “Ruf un Rat” (RuR), Psychologische Beratung und Telefonseelsorge Stuttart der Diözese Rottenburg Stuttgart . Eine Woche lang macht die Beratungsstelle während der EM 2024 auf das oft tabuisierte Thema #MEnToo aufmerksam.

Dirk Neumann (Name von der Redaktion geändert) ist einer der betroffenen Männer, die bei “Ruf und Rat” Hilfe gefunden haben. Im Interview beantwortet er Fragen zum Thema sexualisierte Gewalt bei Männern und wie ihm geholfen wurde.

Wie kamen Sie darauf, sich bei RuR Hilfe zu suchen?

Meine Partnerin unterstützte mich bei der Suche nach einer Beratungsstelle. Wir haben online gegoogelt und kamen auf RuR. Dann habe ich mich angemeldet. Parallel dazu habe ich mich bei einer anderen Beratungsstelle gemeldet, die mir auch RuR empfahl. Wir hatten Angst, dass es lange dauert, bis ich einen Termin bekomme. Aber ganz zeitnah nach meiner Kontaktaufnahme, bekam ich nach einer Woche einen ersten Termin. Das auf sexualisierten Missbrauch gezielte Angebot MEnToo hat ganz genau meine Themen angesprochen.

Was wünschen Sie sich als Mann* für andere Betroffene oder auch für die Gesellschaft?

Für andere Betroffene: dass man sich traut, Hilfe zu suchen und anzunehmen. Weniger Stolz zu haben und dass man den männlichen Stolz im Schrank lässt. Wir sind nicht alleine und nicht als Einziger davon betroffen. Über fünf Millionen Männer haben ein Trauma oder Missbrauch erlebt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

An diesen S- und U-Bahn-Stationen in Stuttgart hängen die Plakate der Aktion #MEnToo.

Was, glauben Sie, macht es betroffenen Männern* schwer, Hilfe zu suchen und anzunehmen?
Warum fällt es Männern* so viel schwerer als Frauen*?

Schuld sind die gesellschaftliche Strukturen und Normen. Männer müssen stark sein und keine Schwache zeigen. Diese Strukturen unterdrücken die Emotionen der Männer. Dieses Konstrukt macht Männer, partnerschaftliche Beziehungen und unsere Gesellschaft krank.  Es gibt viele Unterstützungsmöglichkeiten für Frauen, die betroffen sind. Frauen können mehr Unterstützungsmöglichkeiten erhalten, aufgrund der höheren Betroffenheit und Bekanntheit darüber. Für betroffene Männer gibt es sehr wenig Angebote, die zudem nicht bekannt und unsichtbar sind. Diese Nische füllt „Ruf und Rat“.

Was war Ihnen bei RuR hilfreich?

Die schnellen und zeitnahen Termine. Ich musste auf einen Folgetermin nie lange warten. Die große Empathie, Freundlichkeit und das Verständnis der Mitarbeiterin schon ab der ersten Kontaktaufnahme. Diese Einstellung hat mir geholfen. Ich habe mich von Mihaela Macan von „Ruf und Rat“ ernstgenommen gefühlt – und normal. Das war hilfreich, weil ich mich in einer sehr kritischen Situation befand. Ich war in einem Loch. Der Himmel ist mir auf den Kopf gefallen. Frau Macan hat mir beigebracht, dass die Gefahr von damals, nicht mehr existiert. Sie hat mir meine Vermutungen zu dem sexuellen Missbrauch bestätigt. Durch Frau Macan lerne ich, dieses Gefühl von Gefahr zu überwinden. Man kann es nicht vergessen, aber man kann in der Gegenwart und in Zukunft damit umgehen. Ich habe ja mein ganzes Leben hinterfragt. Der sexuelle Missbrauch hat mich dazu gebracht, mein ganzes Leben von dem Missbrauch in der Kindheit bis heute zu hinterfragen. Ich hatte den Bedarf zu hinterfragen, ob mein Verhalten in bestimmten Situationen normal war.

Wie hilft RuR betroffenen Männern*?

RuR hilft Männern durch die Schaffung einer angenehmen Atmosphäre, die Möglichkeit sich frei und freiwillig zu äußern. „Ruf und Rat“ bietet Professionalität, Fachlichkeit und Empathie. Frau Macan empfiehlt zudem hilfreiche Methoden und verständliche Bücher. Mir waren vor allem zwei Punkte wichtig: Frau Macan beurteilt nicht und sie respektiert mein Privatleben. Das heißt, die Informationen, die ich ihr gebe, werden vertraulich behandelt.

Ändert sich das Männerbild und wird es künftig leichter sein, Hilfe anzunehmen?

Leider denke ich das nicht. Das Männerbild ist noch zu stark von unserer Gesellschaft geprägt: Stärke zeigen, Emotionen vernachlässigen, das wahre Ich verstecken.

Was raten Sie betroffenen Männern*?

Offen und ehrlich mit sich selbst zu sein. Kommunikation. Darüber zu sprechen. Wir sind die Experten unserer „Baustellen“. Nicht den Anspruch haben, dass man alles allein schaffen muss. Das ist unrealistisch und es gibt einen Grund, warum Beraterinnen und Berater professionell dafür ausgebildet werden. Eine außenstehende Person ist da, um uns mit unseren Problemen zu zuhören und uns neue Perspektiven zur Verfügung zu stellen.

Interview von Anonym, Stuttgart